Seit Mitte März stecken Tourismus und Hotellerie in einer existenziellen Krise, wie sie das Schweizer Gastgewerbe in den letzten 70 Jahren noch nie erlebt hat. Tatsache ist: Reisen und Hotelaufenthalte werden seit Wochen massenweise storniert, einzelne Hotels sogar geschlossen. Das Gastgewerbe steht mitten in der grössten Herausforderung der letzten Jahrzehnte. Frage an den renommierten Hotel- und Tourismusexperten Martin Schaffer von MRP: Was können Hoteliers tun?

 

Egal wo man hinschaut, Flaute und Hotel-Schliessungen. Die Corona-Krise lässt Hotels an ihre Grenzen treten: Es gilt laufend rasch zu handeln, um die Krise zu bewältigen. Insbesondere in der Stadthotellerie (Beispiel Zürich) sind die Auslastungsraten um 50% bis 80% gesunken (Quelle: STR). 

Alle Hoteliers, Betreiber und Eigentümer stecken mitten in einer bisher unbekannten Ausnahmesituation. Beispielsweise in Basel, wo bereits Anfang März mehrere Ausstellungen und Messen (Uhrenmesse „Basel World“) und sogar die Fasnacht abgesagt wurden, haben Hotelbetreiber mit leerstehenden Hotels zu kämpfen. Die Auslastungen sinken plötzlich auf 15% bis 30%, Stornierungen sammeln sich an, Gäste bleiben aus, F&B-Outlets sind leer und der Pick-Up reduziert sich erheblich. Zwar hat der Bundesrat am 16. März den „Notfall“ über die ganze Schweiz ausgerufen, doch Hotels sind davon nicht direkt betroffen. Restaurants, Warenhäuser, Mode- oder Schuhgeschäfte hingegen sind seit Mitte März geschlossen.

Was, wenn Hotels die Pachtzinsen nicht mehr bezahlen können?

Hotelbetreiber haben in den letzten Wochen begonnen, Verträge zu prüfen und versuchen Möglichkeiten zu finden, die in der Schweiz häufige Fix-Pacht zu reduzieren. Gespräche mit Eigentümern werden geführt, um die negative Entwicklung der finanziellen Situation möglichst gering zu halten bzw. etwaigen Pachtausfällen vorzubeugen. Welche Ansätze gibt es, wenn der GOP nicht mehr ausreicht, die Pacht zu bezahlen? 

Der rechtzeitige und offene Kontakt zwischen Betreiber und Eigentümer, Interessensvertretern, Investoren oder Banken ist in solch einer Situation sehr wichtig, die Inanspruchnahme der Bankgarantie ist die Ultimo Ratio. 

Ein möglicher Ansatz ist zum Beispiel eine Reduktion oder sogar temporäre Aussetzung der Bildung der FF&E-Reserve. Wenn dennoch ein Delta (minus) generiert wird, dann sollte dieses in den nächsten Jahren, wenn möglich Monaten, von dem Betreiber wieder ausgeglichen werden. 

Umsatz- oder gar Ergebnispacht?

Der – insbesondere in Städten wie Zürich oder Basel – in den letzten Jahren stark gestiegene Marktdruck hat Forderungen nach hohen Pachten aufgebracht. Viele Hotelbetreiber haben einen hohen Fixpachtansatz als Verkaufsargument gewählt, um dem Expansionsdruck ihrer Hotelmarken mit neuen unterschriebenen Verträgen und Standorten gerecht zu werden. Solange der Markt stabil ist und das Hotel läuft, sind hohe Pachten bedienbar. Anders sieht es dann in ungewohnten und schwierigen Situationen aus. Es gilt darüber in einem offenen Diskurs zwischen Eigentümer und Betreiber nachzudenken, ob ein temporärer Wechsel zu Umsatz- oder gar Ergebnispacht nicht die besseren Voraussetzungen für Krisenzeiten ermöglichen. 

„Höhere Gewalt“-Klausel

Hotelbetreiber werden Möglichkeiten suchen, Gebrauch von einer „höhere Gewalt“-Klausel zu machen, Ausfallsversicherungen in Anspruch zu nehmen (wobei häufig „Seuchen“ ausgenommen sind) oder nach einem Vertrags-Exit bei Hotelimmobilien, mit denen man in Summe „unglücklich“ ist. Über die Inanspruchnahme etwaiger staatlicher Garantien ist es noch zu früh nachzudenken, da die Programme noch nicht ausgereift sind.

Im Hotel bleiben die Gäste aus – definitiv keine Wunschsituation…

Es ist seit Wochen eine Tatsache: Die Corona-Krise bringt die meisten Hotels zwischen Genfer- und Bodensee vor massive, wirtschaftliche Herausforderungen: Es gilt laufend zu handeln und Lösungen zu finden, wenn die Auslastungsraten, vor allem in Städten, auf teils 10% oder 20% sinken. 

Ganz bestimmt haben sich Hotels leere Hotelzimmer beziehungsweise stornierte Reservierungen nicht gewünscht. Auch, wenn Hoteleigentümer und -betreiber aufgrund der schwierigen Nachfragesituation nicht nach Wunsch agieren können, können sie aber reagieren. Es gilt bestehende Möglichkeiten zu nutzen, um den Schaden zu minimieren. 

Wie Kosten senken?

Wenn ein Hotel an Buchungen verliert und Gäste ausbleiben, muss versucht werden, anfallende Kosten so gut und rasch als möglich zu senken. Dies kann beispielsweise durch das Schliessen von Etagen/Hoteltrakten oder F&B-Outlets geschehen, so dass unter anderem Energiekosten gesenkt werden können. Instandhaltungsarbeiten können anstelle dessen durchgeführt werden. Alles, was im alltäglichen Betrieb oft liegen bleibt, kann jetzt erledigt werden – sogar das oft aufgeschobene Wenden von Matratzen! 

Wareneinkauf reduzieren, Mitarbeitende in die Ferien schicken…

Möglichst sollten keine Waren mehr nachgekauft werden, um einen Overstock zu vermeiden. Die Mitarbeitenden sollten in die Ferien geschickt, Überstunden abgebaut oder auch Minus-Stunden ausgebaut werden. Im „schlimmsten“ Fall kann auch eine Reduktion der Arbeitszeit (Kurzarbeit) mit den Mitarbeitern vereinbart werden – auf jeden Fall sollten Neueinstellungen herausgezögert werden. Kritisch ist die Kündigung von Mitarbeitern. Einerseits wird sie erforderlich sein, andererseits werden die Auswirkungen danach lange zu spüren sein, da der Hotelarbeitsmarkt ein stets angespannter ist und Mitarbeitende nach der Krise wieder schwer gefunden werden. 

Keine Dumping-Preise – auch in der Krise!

Genau so wenig ist zu empfehlen, extreme Dumpingraten oder Discounts anzubieten. Sie helfen nicht, das Hotel zu füllen und machen es nur schwieriger, das eigentliche Raten-Niveau im Nachgang wieder zu erreichen. Es sollte von den vereinbarten Stornierungskosten Gebrauch gemacht werden. Wenn Gruppen absagen und zu einem späteren Zeitpunkt buchen wollen, sollten Storno-Kosten berechnet und bei Neubuchung aus Kulanz ein 15%-Discount vergeben werden. 

Aus Krisensituationen lernen…

Wichtig ist, dass Hotelbetreiber aus Krisensituationen und ihren Herausforderungen lernen und, falls noch nicht vorhanden, einen Krisenmanagementplan erstellen. Eigentümer und Betreiber betroffener Hotels müssen dennoch nach vorne schauen und ihre Learnings und Optimierungspotentiale zusammenstellen, um bei der nächsten kritischen Situation besser vorbereitet zu sein.

Wichtig: offene Kommunikation

Mittlerweile besteht keine Chance mehr, den Corona-Virus zu ignorieren. Helfen können hier nur eine offene Kommunikation und ein vorsichtiger Umgang mit der Gesamtsituation. Insbesondere Hotels, die aufgrund von Stornierungen im Veranstaltungs- als auch im Rooms-Bereich starke Rückschläge in ihren Umsätzen verzeichnen. Ein offener Umgang, enge Gästekommunikation und Marketingansätze können helfen. 

Wie kommuniziert man richtig?

Krisensituationen bringen auch die sich grundsätzlich positiv performende und entwickelnde Asset-Klasse an ihre Herausforderungen. Hier hilft nur eine offene Kommunikation: Fachexperten sollten herangezogen werden, um den Gästen ein Bild von der aktuellen Situation geben zu können. Offizielle Meldungen aus den Medien sollten herangezogen werden. Daneben gilt es, Gäste über ihre Anreise zu informieren: Flüge, Cancellation-Policies, ergriffene Massnahmen im Hotel, Aufruf zur verstärkten Hygiene und keine Akzeptanz von Risiko-Gruppen machen es den Gästen einfacher, ihre Entscheidung für den Hotelaufenthalt auszusprechen. 

Besonders wichtig ist, dass mit der Situation transparent umgegangen wird, so dass ein möglicher Imageschaden vermieden wird. Social Media kann hier helfen. 

Mit Specials im Hotel kann Aufmerksamkeit geschaffen werden. Besonders in einem stark internationalen Gäste-Mix, den insbesondere die Stadthotels aufweisen, zeigen solche Situationen, wie gut der inländische Gäste-Mix funktioniert und einander ausgleichen kann. 

Die Folgen von Pandemien für den Hotelmarkt 

Auch in der Vergangenheit hat es bereits Epidemien gegeben, beispielsweise SARS im Jahr 2003, die den Hotelmarkt aus seiner gewohnten Performance gerissen haben. Solche Krisensituationen haben gezeigt, dass mit einer dreimonatigen Krise zu rechnen ist, der Markt sich aber nach etwa sechs Monaten erholt (Quelle: STR). 

Pandemien zeigen typischerweise tiefe Rückgänge in den Belegungsraten der Hotels, die sich kurzfristig nicht anheben lassen, sich aber meist schneller erholen als erwartet. 

Der Tourismus leidet immer!

Die Tourismusbranche ist fast immer betroffen, weil das Reisen, häufig sowohl im Leisure- als auch im Business-Bereich, verschoben oder substituiert (Skype, Telefon) werden kann. Insbesondere die Internationalität der Tourismusbranche bringt Herausforderungen und ist von weltweiten Epidemien oder Ähnlichem häufig stark betroffen. In diesem Zusammenhang lässt sich darüber nachdenken, ob national, lokal oder regional zu arbeiten eine gute Alternative sein könnte. Gefahrensituationen würden schneller und besser eingeschätzt und beurteilt werden, um so grössere, negative Auswirkungen zu reduzieren. 

Es geht nach Krisen immer wieder aufwärts!

Das Corona-Virus wird sicherlich nicht die letzte Herausforderung der Weltgemeinschaft gewesen sein – es bleibt spannend, welche Situationen uns in Zukunft an unsere Grenzen bringen werden. Können wir uns in der Tourismusbranche und insbesondere in der Hotellerie auf solche Notsituationen vorbereiten oder diesen gar entgegenwirken? Fest steht: Nach einem Rückgang geht es meist auch wieder aufwärts – und so sicherlich auch in Zeiten nach Corona. 


Martin Schaffer, MRICS, MRP Hotel Development

Der Autor: Martin Schaffer ist Hotelexperte und Partner der MRP Hotels. MRP ist ein europaweit führender Experte in Beratung und Unterstützung von Eigentümern, Investoren, Projektentwicklern, Banken und Hotelbetreibern. Das Unternehmen verfügt über ein breites europäisches Netzwerk mit Bürostandorten in Wien, Berlin, Amsterdam und Istanbul.