Vor 20 Jahren bahnte sich in meinem Münchner Restaurant Aubergine eine Revolution an. Die moderne, gesundheitsbewusste nouvelle cuisine, die ich 1971 von meinen französischen Lehrmeistern (allen voran Paul Haeberlin und Paul Bocuse) nach Deutschland ins Tantris importierte und für die ich acht Jahre später im Aubergine als erster deutschsprachiger Koch drei Michelin-Sterne erhalten sollte, war zwar immer noch Weltklasse, aber die Gäste sehnten sich nach etwas Neuem. Sie wollten weg von Filets und Medaillons. Warum nicht mal etwas Herzhaftes wie eine kross gebratene Ente oder eine schöne Kalbsstelze? Sie hatten den Wunsch nach mehr Transparenz. Also begann ich, die Produkte im Ganzen zuzubereiten und am Tisch anzurichten. Gleichzeitig experimentierte ich mit frischen Kräutern, orientierte mich an saisonalen wie regionalen Produkten und besann mich mehr auf meine österreichischen Wurzeln. Ein mutiger Schritt, für den ich anfangs viele Seitenhiebe einstecken musste. Huchen statt Seewolf – wo gab’s denn so was! Das Schwierige an dieser Gratwanderung war der Spagat zwischen Tradition und Zeitgeist unter Berücksichtigung moderner Produktionsmittel.

Ende der 80er-Jahre formierten sich zwei Bewegungen, die meinen Bestrebungen sehr entgegen kamen: Das war zum einen die Initiative Eurotoques, 1986 gegründet vom belgischen Meisterkoch Pierre Romeyer, zur Verbreitung, Förderung und Erhaltung der europäischen Kulturthemen Kochen, Essen, Geniessen, gesunder und natürlicher Lebensstil. Die zweite wichtige Bewegung in diesem Zusammenhang ist Slow Food (Wahlspruch: „gut, sauber, fair!“), die 1989 von Carlo Petrini in Italien aus der Taufe gehoben wurde und heute in über 132 Ländern vertreten ist. Beiden Organisationen halte ich bis heute als Gründungsmitglied die Treue.

Analog zur regionalen Küche erhielt Mitte der 90er-Jahre die so genannte Cross Over-Küche Einzug in der weltweiten Restaurantszene. Sie lässt die Grenzen zwischen landestypischen Kochstilen aus allen Teilen der Welt verschwimmen. Eine Art kulinarischer Freistil, der in den nächsten Jahren noch mehr von asiatischen Einflüssen dominiert werden wird.

Das Thema Essen war in den Medien noch nie so präsent wie in den letzten Jahren. Leider droht die Fastfood-Convenience-Lawine mehr denn je, uns zu überrollen. Deswegen engagiere ich mich in jüngster Zeit sehr für die Wiederentdeckung des gesunden und genussvollen Kochens und Essens als integrativer Bestandteil des Familienlebens. Ausserdem fordere ich: Gebt den Kindern Geschmacksunterricht und sorgt für qualitativ hochwertiges und bezahlbares Essen in den Schulen. Ein echtes Politikum!

Wenn ich die kulinarischen Wegweiser der Gegenwart richtig deute, wird sich die Spitzengastronomie massgeblich verändern. In den Toplokalen wird es nach wie vor drei Sterne auf dem Teller geben, jedoch bei weniger Personal. Parallel wird das neue Ernährungs- und Figurbewusstsein der jungen Gästegeneration neue Lokaltypen generieren. So genannte fun places, die stark auf Merchandising als Nebenerwerbsquelle setzen, wie sie zum Beispiel der Österreicher Wolfgang Puck in den USA betreibt. Aber egal, was kommen wird, eines ist sicher: Gutes Essen ist kein entbehrlicher Luxus. Es ist und wird die Basis für ein gesundes Leben bleiben.

 

Eckart Witzigmann