Todgeglaubte leben länger – so der Titel eines amerikanischen Krimi-Bestsellers. Das gilt offensichtlich auch für den Megatrend Wellness. Schon vor zehn Jahren verkündete der Trend-Forscher Matthias Horx: „Der Wellness-Hype ist vorbei.“ Gleichzeitig propagierte er so etwas wie eine neue, ganzheitliche Wohlfühl-Philosophie. „Selfness“ heisst das Zauberwort. Ein Zukunftsmodell oder bloss ein vorübergehender Wellness-Gag? Wie relevant ist „Selfness“ für den Hotelier?
Text: Hildegard Dorn-Petersen
Zugegeben: Auch die Wellness-Hotellerie hat Fehler gemacht. Nachdem erste Pioniere das Feld geebnet hatten, kam das grosse Aufrüsten: immer noch grösser, noch schöner, noch mehr Saunen und noch mehr Poolfläche. Es ist noch gar nicht so lange her, da definierten einige Hotels die Qualität ihres SPAs nach Quadratmetern Grundfläche. Und noch immer wird die Grösse als Marketing-Tool verwendet: Das 2008 wiedereröffnete Dolder Grand in Zürich wirbt mit einem „einzigartigen Wohlfühlangebot auf 4000 Quadratmetern“ unter dem Slogan „ Classic traditions with a techno beat“. „Der 5500 Quadratmeter grosse Victoria-Jungfrau-Spa gehört zu den schönsten in der Schweiz“, verkündet das Traditionshaus in Interlaken stolz auf seiner Website. Den grössten Wellness-Bereich der Schweiz finden die Gäste aber im Luxusresorts Bad Ragaz auf 7300 Quadratmetern! Dort hat man allerdings schon frühzeitig auf Gesundheitskompetenz auf hohem Niveau und ein herausragendes Medical Center gesetzt.
Future Health – die Zukunft?
Die neue „Selbstveränderungs-Kultur“
Zurück zum Zauberwort Selfness. Nach dem Wellness-Boom beginnt nun die „Neue Selbstveränderungs-Kultur“, so die These von Trendforscher Matthias Horx. Das Grundprinzip kann jeder nachvollziehen: Ein ausgeglichenes, glückliches und zufriedenes Leben ist nur möglich, wenn man mit sich selbst im Reinen ist. Ein Leben nach dem Selfness-Prinzip kann ein Weg in diese Richtung sein. Doch Vorsicht! Der Begriff lässt sich genau so wenig wie Wellness markenrechtlich schützen.
Die Sehnsucht nach Veränderung
Immer mehr Hotelgäste sind auf der Suche nach mehr Lebensqualität. Sie wollen ihr Leben verändern und eine bessere Work-Life-Balance erreichen. So wie die Pilger, sind sie auf der Suche nach Heil und Heilung im weitesten Sinne, nach besonderen Stimmungen und erhebenden Momenten – ob es sich nun um ein Wochenende im Wellnesshotel, um den Jakobsweg oder den Besuch von Kraftorten handelt. „Heilende Impulse“ bietet das burgenländische Kurzentrum & Kloster Marienkron. „Viele Geschichten der Bibel erzählen von Begegnungen und Heilung; sie ermutigen, die eigenen Kräfte zum Heil- und Gesundwerden einzusetzen. Übungen aus dem Qigong helfen, den Energiefluss durch Atem, Haltung und Bewegung zu stärken.“ Ganz gleich, ob die Ermutigung zur Selbstbesinnung von einer Ordensfrau, einem Arzt oder einem Therapeuten kommt – was zählt, ist die Kompetenz.
Der Hotelier als Lifestyle-Coach?
Das Modell der Zukunft liegt aus meiner Sicht in der Einfachheit. Klare Konzepte für alle, die auf der Suche sind, die mehr suchen als eine kleine Auszeit und verwöhnende Streicheleinheiten. Die Regeneration der Zukunft bedeutet: nicht Falten mindern, sondern Falten verhindern. Dem Menschen helfen, aus sich heraus stärker und robuster zu werden, sich selbst mehr zu schätzen und zu akzeptieren, sein Selbstwertgefühl steigern. Dafür braucht der Hotelier als Gastgeber keine Ausbildung zum Lifestyle-Coach oder gar zum Zen-Meister zu durchlaufen. Mit dem richtigen Team an professionellen Mitarbeitern, die ihre Füsse fest auf dem Boden haben, wird Vieles gelingen. Zum Beispiel, dass der Gast nicht nur das erreicht, was er sich vorgenommen hat, sondern ein klein wenig mehr – das nimmt er mit nach Hause und kommt wieder. Damit sind wir beim Stichpunkt Wirksamkeit. Sie ist von zentraler Bedeutung, bei therapeutisch fundierten Spa-Anwendungen, insbesondere aber bei allem, was dem Gast im Alltag weiterhilft.
Gefragt sind Regionalität und Authentizität
Gefragt sind in Zukunft weder esoterischer Firlefanz noch Traumreisen in ferne Länder. Da war der Gast oftmals schon, und hat hawaiianische und asiatische Rituale im Original erlebt. Ob auf dem Berg oder im Tal, gefragt sind heute Regionalität und Authentizität, echt und glaubhaft – das gilt für die Küche ebenso, wie für das SPA. Beispiel: das Design- und Boutiquehotel Wiesergut in Saalbach (Österreich). Das Haus hat sich „neu erfunden“: „Wir nennen es Glück – auf einem Flecken Erde in den Bergen, auf dem seit 1350 ein Gutshof steht. Ein Ort, an dem Werte bewahrt werden. Und doch brechen wir immer wieder zu neuen Ufern auf.“
Der Hotelier wird selbst zum Suchenden
Hier liegt auch die Chance für die Hotellerie, neue Impulse zu setzen. Doch dies erfordert viel Know-how. Der Gastgeber selbst wird zum Suchenden nach einer klaren Profilierung, den richtigen Zielgruppen und dem richtigen Angebot. Dabei ist er gut beraten, sich dabei externe Partner an die Hand zu holen. Professionelle Beratung macht sich rasch bezahlt, denn sie kann nicht nur den richtigen Weg weisen, sondern auch Fehlinvestitionen in sechs- bis siebenstelliger Summe vermeiden. Ein konkretes Angebot, eine gut besetzte Nische – weniger kann oft mehr sein. Die gute Nachricht: „Immer wenn sich etwas verändert, bleibt auch eine ganze Menge gleich“, so das Statement des Zukunftsforschers Matthias Horx.
DIE AUTORIN: Hildegard Dorn-Petersen ist eine der renommiertesten Expertinnen für Wellness-Fragen in der Hotellerie. Sie verfügt über eine fundierte Ausbildung und langjährige Berufserfahrung im Hotelfach. Sie ist seit 1996 Mitglied im Deutschen Wellness Verband und erhielt als eine der ersten Expertinnen die Zertifizierung als „Autorisierter Consultant“ (DWV). Sie gehört auch dem Vorstand des internationalen Beraterverbandes FCSI an und ist Gast-Autorin für Wellness-Fragen.
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Was ist Selfness?
„Selfness“ ist weniger ein Angebot, als eine Haltung und ein Prozess des Sich-selbst-Erkennens und- Veränderns. Um die „Selfness“ herum entwickelt sich derzeit ein riesiges Feld an Coachings, Therapien, Trainingsangeboten und Ratgebern, die Klienten bei der Suche nach persönlichen Lebenszielen unterstützen sollen. Für die Hotellerie bedeutet dies, sich auf der gesellschaftlichen Suche nach Gesundheit mit Antworten zu beteiligen. Die Ebenen dafür sind schon gut ersichtlich: Ausgehend von einem neuen Willen der Selbsterkundung, die in der „Selfness“ gipfelt, gibt es vier wesentliche Stützen der Gesundheit: das Training, also die körperliche Fitness, die Entspannung, gemeinhin als Wellness oder Regeneration beschrieben, die Behandlung, zur Vorsorge oder schon gezielt auf Symptome gerichtet, und letztlich die Therapie, die auch gleichzeitig den Anschluss an die Medizin darstellt. Das Neue an dieser Entwicklung ist, dass Menschen sich eben nicht nur mit Einzelfunktionen zufriedengeben, sondern vermehrt das ganze Gesundheitsspektrum suchen. Sie wollen also nicht nur Symptome behandeln, sondern sich selbst und ihren Körper verstehen lernen. Mit allen Wehwehchen und Potenzialen. Eine Chance für die Hoteliers?
Quelle: Hotel der Zukunft. Die wichtigsten Trendfelder für die Hotellerie. Autor: Harry Gatterer, Matthaes Verlag.