Der morgendliche Blick auf das Handy-Display zeigt, dass ich kurz vor Mitternacht – von einem nicht gespeicherten Schweizer Telefon-Anschluss – angerufen wurde. Wer wollte so spät noch mit mir sprechen? Dank dem Webportal Local.ch erfahre ich, dass die Anrufe vom Hotel im Züricher Aussenquartier stammen, in dem ich für heute Abend ein Zimmer reserviert habe. Dass in diesem Hotel offenbar etwas mit der telefonischen Reservation nicht geklappt hat, erstaunt mich nicht. Das höchst emotionslose Reservationsgespräch habe ich noch sehr präsent in Erinnerung:

SIE: Das Zimmer kostet 100 Franken.

Ich: Auf booking.com bieten Sie das Zimmer zum Wochenend-Tarif von 90 Franken an…

SIE: Das ist eine «not refundable rate» ­– Sie müssen da mit Ihrer Kreditkarten-Nummer die Reservation fest bestätigen …

Ich: Ich kann Ihnen diese Nummer ja auch telefonisch durchgeben, oder ziehen Sie es vor, dass ich über Booking.com buche?

SIE: Nein, 90 Franken sind ok. Der Parkplatz kostet 10 Franken zusätzlich!

Ich: Dann brauchen Sie also jetzt meine Kreditkarten-Nummer?

SIE: Nein, das passt so – ich habe ja Ihre Telefonnummer. Sie müssen aber vor 23.45 Uhr anreisen, sonst ist niemand mehr an der Réception!

Offenbar wurde ich schon gestern erwartet und deshalb die nächtlichen Anrufe. Um Missverständnisse zu verhindern, melde ich mich nochmals telefonisch im Hotel. Dieses Mal meldet sich ein Mitarbeiter am anderen Ende der Leitung:

ER: Ja?

Ich: Bin ich mit dem Hotel Kronenhof verbunden?

ER: Ja!
Ich: Jemand im Hotel hat gestern vor Mitternacht versucht, mich telefonisch zu erreichen – ich gehe davon aus, dass der Grund der Anrufe meine Zimmer-Reservation ist. Mein Name ist Stalder.

Er: Warten Sie einen Moment; ja?

Ich: Ja. Der «Moment» dauert zwei Minuten…

Er: Da steht nichts, aber sie können, ähm, sie können kommen. Stalder, ja?

Ich: Ja, ich habe telefonisch reserviert und meine Handy Nummer angegeben …dann klappt es also mit der Reservation von heute Abend?

Er: Stalder, ja? Ok, warten Sie mal. Stalder… (sucht offenbar immer noch in den Reservations-Unterlagen…)

Ich: War die Reservation für gestern eingetragen?

Er: Nein, ist noch nicht eingetragen.

Ich: War sie für gestern eingetragen?

Er. Ich schaue mal nach, aber Sie können kommen!

Ich: Das nächste Mal buche ich wohl besser über Booking.com – so habe ich wenigstens eine Buchungsbestätigung. Ihre Kollegin hat mir am Telefon bestätigt, dass die Reservation notiert ist.

Er: Eben, sie ist neu und ich bin auch neu, aber wir schauen. Also für Stalder, ja? Eine Nacht, ja?

Am Abend fahre ich vor dem Hotel vor und bin nun wirklich gespannt, was mich erwartet – und werde positiv überrascht:
Die Réception ist nicht besetzt. Eine Dame aus dem Service-Team winkt mir fröhlich zu: «ich bin grad bei Ihnen». Was jetzt folgt ist ein Check-in, das als Top-Schulungsbeispiel verwendet werden könnte. Charmant erkundigt sich die Mitarbeiterin, wie gut ich das Hotel bereits kenne und gibt mir anschließend die wichtigsten Infos bezüglich WiFi, Parkplatz und Frühstück. Zu guter Letzt empfiehlt sie mir noch ihr Restaurant, das noch offen ist und dass Sie sich auf meinen Besuch freut.

Ganz erstaunt – und weil ich mich aufgrund der Telefongespräche auf einen 08.15-Empfang eingestellt hatte – erzähle ich ihr von meinem ersten Eindruck. Auf meine Frage: «Wie kommt es, dass sie sich so völlig anderes verhalten, als die Kollegen an der Réception», gibt sie mir zur Antwort: «Ich mache meinen Job eben gerne – übrigens habe ich Sie gestern Nacht angerufen. Bei der Kontrolle der Anreiseliste fiel mir auf, dass Sie noch nicht eingecheckt sind und wollte verhindern, dass sie in der Nacht vor verschlossenen Türen stehen…»

Beim Check-out am nächsten Morgen treffe ich auf eine andere Mitarbeiterin, die unmotiviert und emotionslos ihre Arbeit macht. Kein «Danke für den Besuch», keine Nachfrage «wie hat Ihnen der Aufenthalt im Kronenhof gefallen»? Auf dem Adresskopf meiner Rechnung steht: Stalder, Schweiz…

Die emotionslose Tages-Crew hat offensichtlich wieder die Schicht übernommen…
Und ich habe einmal mehr erlebt, wie motivierte Mitarbeiter – im Gegensatz zu den Minimalisten – den Gästen Freude bereiten. Das Hotel in Zürich-Affoltern gehört gemäss Booking.com übrigens zu den am «meisten gebuchten Unterkünften in Zürich im Jahr 2015» – und ich verstehe jetzt auch, warum in diesem Hotel kaum jemand telefonisch bucht… Der Online-Vermittler ist hier definitiv der bessere Réceptionist.

 

 

Der Autor: Adrian Stalder, gelernter Koch und dipl. Hotelier, ist heute einer der erfolgreichsten und innovativsten Berater für Hotellerie und Gastronomie. Er führte in den neunziger Jahren u.a. das Hotel Saratz in Pontresina. Heute entwickelt er Restaurantkonzepte wie zum Beispiel jenes vom „Ristorante Seven“ in Ascona. Er hat u.a. auch das Konzept für das Guarda Val in Sporz (Lenzerheide) erarbeitet und umgesetzt. Stalder lebt zusammen mit seiner Frau im Tessin.

adrian@stalderprojects.ch


INSIDER buch-tipp

Stalder’s Kolumnen aus der Hotelwelt

 

„Adrian Stalder bringt das Thema wirklich auf den Punkt.“ „Toll, wie er der Branche die Augen öfnnet.“ „Seine Kolumnen machen mich so richtig lesesüchtig.“ Adrian Stalders Buch „50 Kolumnen aus der Hotelwelt“ sind ein grosser Erfolg. Das Buch spricht den Hoteliers offensichtlich aus der Seele. Stalder hält der Branche den Spiegel vor – mal mit Augenzwinkern, mal mit erhobenem Zeigefinger. Immer aber konstruktiv und aus der Optik des Gastes, dem wichtigsten „Schauspieler“ auf der Bühne Hotellerie und Gastronomie. So ist das Buch nicht nur für Hoteliers, Gastronomen, Mitarbeiter, Auszubildende und Lieferanten lesenswert, sondern auch für Gäste und Branchenfremde. Sie erkennen sich in den Geschichten wieder und fühlen sich in ihren Bedürfnissen ernst genommen. Der Leser wird feststellen, dass die Kernaussagen auch für andere Unternehmen Gültigkeit haben und die beschriebenen Erfolgsrezepte sich im People-Business von Machern erfolgreich umsetzen lassen.

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